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Reichelt … oder nicht Reichelt … das ist keine Frage

Wir haben uns ein Experiment erlaubt. Wir wollten wissen, wer die wahren Selbstdenker sind. Dafür liehen wir uns Julian Reichelt, den braucht ja gerade niemand.

Auf Telegram glaubt dir jeder alles. Das ist die Quintessenz aus einer Kurz-Trollaktion, die wir spontan vergangene Nacht starteten. Wir hatten selbst nicht damit gerechnet, dass es so dermaßen „ab geht“ mit dem Fake-Kanal von Julian Reichelt. Als ein einzelner Anon den Kanal einrichtete, schrieb er noch: „Mal sehen ob da nen paar Follower kommen“.

Ein Anon auf dem Hive-Mind letzte Nacht … nachdem er den Kanal erstellt hatte.

Kennt ihr den Film „Feld der Träume“ mit diesem Costner? „Wenn du es baust, wird er kommen?“ Telegram ist ein bisschen so; ein Messengerdienst mit Gruppenfunktionen als Rückzugsort der Verzweifelten und derjenigen, die diese Verzweiflung ausnutzen. Man macht einen Kanal und die Leute setzen Hoffnungen auf Zahl. Hab’s bei Telegram gelesen, also stimmt es.

Und sie kamen. Oh, wie sie kamen. Am Morgen hatte der Kanal 1000 Abonnenten, Grund genug, ein paar Posts abzusetzen. Die durften jetzt nicht so geschliffen klingen wie durchs Bild-Korrektorat gezogen, sondern sollten eher einen Julian darstellen, der in einem neuen Medium schreibt. Um 16 Uhr hatte der Channel 25K Abonnenten. „Ray, die Leute werden kommen. Sie werden nicht wissen, warum, aber sie werden kommen und Eintritt bezahlen“ Nur das anders als im Film es nicht um Baseball geht, sondern um Lügen, Betrügereien und Schmuh.

Es ging halt seinen normalen Gang in der Fake News Bubble Telegram. Während einige auf Twitter den Braten recht schnell rochen (unsicher waren alle so ein bisschen), während Journalisten einfach ihre Möglichkeiten nutzten – ja, Lars Wienand, richtig, die „Interviewanfragen“ waren nicht für Julian, sondern aus Attila Hildmanns Postfach (vor langer Zeit hatte er welche) -, glaubte man von Boris Reitschuster bis Eva Rosen, über „Wendezeit Hannover“ und Media Gerontos Berlin bis hin zu Dave Brych und „Revolverblatt.news“, der Kanal sei echt. Um 16:18 hatte er 26.200 Abonnenten. Und es stieg weiter. Denn die wenigen mahnenden Stimmen wurden längst nicht mehr wahrgenommen.

Markus Haintz hielt es für Fake. Schließlich hatte es vorher kein Video gegeben. (Äh, was? Haintz glaubt nur, was zuvor im Bewegtbild beworben wurde. Da wird einem einiges klar! Kann mal schnell jemand ne Doku über die Auslegung deutscher Gesetze drehen?)

Seine Follower sind nicht doll weniger skeptisch. Sie wollen dem Kanal aber eine Chance geben.

Die „explizite Distanzierung von Attila Hildmann“ … ja, die war es auch, die Attila dazu brachte, den Channel für eine „Honigfalle der Antifa“ zu halten. Nicht, weil er dafür irgendwelche Belege hätte, sondern einfach nur, weil es ja nicht sein kann, dass sich jemand so explizit von ihm distanziert. Kennt man Attilas Narzismus, dann ist die Reaktion klar. (Zu dem Zeitpunkt hatte Reichelt ihn bei den Abos überholt, hehehehe.)

Nein. Nicht alle haben es geglaubt. Die, die selbst Telegram nutzen, um Fakes zu verbreiten, die waren skeptisch. Aber andere? Vor allem die „Ich hinterfrage alles“-Typen wie Henning Rosenbusch teilten fleißig Posts aus „Reichelts“ Kanal.

Dave Brych … der alles weiß:

Eva Rosen … sie fiel ebenfalls darauf herein. Sie nahm eine Sprachnachricht auf. Klingt dann bei ihr so:

Süß, oder?

Und Media Gurkilla Berlin … Hey, huhu, Grüße von AnonRoot2!

Und Boris Reitschuster …

Bei Boris Reitschuster kamen erst leichte Zweifel auf, als seine eigenen Leser ihn auf einen möglichen Fake hinwiesen. Dann erst baute er einen einleitenden Absatz vor seinen eigentlichen Jubeltext – und das war es für ihn. Gut, schlimmer wäre es gewesen, er hätte den Artikel gelöscht. Aber ist halt das übliche Spiel: Emotion statt Recherche, Meinung statt Fakten. Wir gehen davon aus, dass die meisten Abonnenten über Fake-Fake-Boris kamen.

Boris … als Journalist sollte man gegen Emotionen gefeit sein, wenn es nur „Kollegen“ betrifft. Kinder, okay. Kleintiere, okay. Aber bei sowas wie mit dem Reichelt?

handheb

Eitelkeit? Reitschuster nimmt sich halt viel zu gerne viel zu wichtig. Und im Grunde sagt Boris Reitschuster nichts anderes als: „Shietegal, ob der echt ist, der Inhalt ist so gut wie vom echten Julian, Hauptsache die Emotion stimmt.“

Schön auch dieser Thread.

29.564 Abonnenten um 16:47 Uhr.

Das Lustige ist: man muss sich auf Telegram nicht mal Mühe geben. Die Leute kommen in Scharen zu ihren vermeintlichen Helden. ein Name, ein Thema, paar werbende Channel und die Follower kommen wie die Fliegen zum Mist. Und die halten sich für aufgewacht und schlau und selbstdenkend …

Eva Herman hat in ihrem Kanal gleich mehrere „Reichelt“-Posts geteilt. Hier mal zwei:

43.198 Abonnenten um 18:48 Uhr. Wäre interessant zu wissen, wohin und wie häufig die Posts auf Telegram geteilt wurden. Cemas? Habt ihr so ein Tool? Auf der richtigen Fährte wart ihr immerhin:

Man hat zwischendrin übrigens eine Sprachnachricht gepostet. War das Audio aus einem ollen Video, aber selbst wenn das einigen auffiel, es spielte letztlich keine Rolle.

Man glaubt auf Telegram, was man glauben möchte. Es brachte auch einige auf Twitter dazu, an dem Fake zu zweifeln. Sorry, wir haben es euch nicht leicht gemacht.

Generell – und das verschweigen wir nicht: es gab auch zahlreiche Zweifler und Mahner auf Telegram. Die gingen aber unter.

Hach. Verwirrung. Wiar liepen Fawirrung!

Deswegen haben wir es auch an ein paar … an Accounts weitergeleitet, direkt zur Werbung für den guten Julian.

Es ist gleich 22:00 Uhr. Der Channel existiert jetzt keine 24 Stunden und hat über 52K Abonnenten. Es ist schon so: allen Zweifeln zum Trotz verbreiten sich Fakes auf Telegram schnell, finden ihre hoffnungsfrohen Abnehmer … werden weitergeteilt, geforwarded, unreflektiert verarbeitet.

Ist das jetzt ein typisches Beispiel? Sicher nicht. Ein repräsentativer Event? Nein. Wir haben eine Situation ausgenutzt und einen bekannten Namen verbraten. Doch genau so funktioniert es auch mit Fake News auf Telegram. Telegram ist zu schnell, so schnell, dass man Fake News nicht als solche wahrnimmt. Man sieht, was man sehen möchte, denn nicht allen hier genannten und den vielen Ungenannten (wie dem Wendler) kann man gleich fehlende Medienkompetenz unterstellen. Doch einfach mal durchatmen, nicht alles glauben … das wäre zielführend.

Auch auf Twitter, übrigens.

https://twitter.com/sz_associates/status/1450474451158568963

„Politics & Economics Think Tank“ … na gut.


Was es aber zeigt: bei wem Reichelt, Piatov, Poschardt, Bild und Welt und ihre Schreiberei Sympathien auslösen und wer sich deren teils schon hart am Populismus – eher als am Journalismus – vorbeischrammende Inhalte zu Gemüte führt. Reichelt, den der anachronistische und längst aus der Realität gekippte Springer Chef Döpfner unlängst gelobt haben soll, er sei der letzte und einzige Journalist in Deutschland, der noch mutig gegen den neuen DDR Obrigkeits-Staat aufbegehrt„, hat sich in der Redaktion der Bild und weiblichen Redakteurinnen gegenüber benommen wie der letzte Arsch, aber das ist gerne mal vergessen, denn sein Vordringen in die Herzen der Unbedachten, der ewig Gestrigen und der Verzweifelten macht ihn zum Helden.